Berlin: Hungern für Rechte – Flüchtlinge im Porträt

Hungern für Rechte

Flüchtlinge im Porträt.

Gabriele Senft

Mehr als sechs Wochen trotzten sie der Kälte und den Repressionen der Polizei. Einige Teilnehmer des »Flüchtlingsmarsches«, der Anfang September aus Würzburg nach Berlin aufgebrochen war, traten Ende Oktober des vergangenen Jahres in Hungerstreik vor dem Brandenburger Tor am Pariser Platz, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Sie verlangten unter anderem ein Ende des Arbeitsverbots und der Unterbringung in Lagern sowie eine Aussetzung der Abschiebungen und der Residenzpflicht. Immer wieder schikanierten Polizeibeamte die Flüchtlinge, indem ihnen Decken und Schlafsäcke entrissen wurden.

Anfang Dezember schließlich setzten sie ihren Hungerstreik aus. Doch der Protest soll weitergehen: »Unabhängig vom jeweiligen Ort oder Zeitpunkt, von der Aktionsform oder dem aktuellen Anlaß werden wir unsere Proteste dahin tragen, wo wir es für notwendig halten, selbstbestimmt und emanzipiert, mit oder ohne Paß. (…) Wir haben unsere Proteste am Brandenburger Tor nicht beendet, sondern lediglich ausgesetzt, um diese anderen Ortes verstärkt fortzusetzen, Kräfte zu bündeln und jederzeit die Option der Rückkehr zum Pariser Platz offenzuhalten«, heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung vom 9. Dezember. (jW)

Mansureh Komeijani und ihre Töchter Maryam (geb. 1993) und Mina Daliri (geb. 1990) aus Iran
Maryam erzählt: »Mama arbeitete in der Schule als Sekretärin und an einem zweiten Arbeitsplatz im Kindergarten. Wir leben seit 13 Jahren in einem Frauenhaushalt miteinander ohne unseren Vater. Seit dem Präsidentenwechsel 2009 bekamen wir Schwierigkeiten. Mina war im Gefängnis. Wir hatten Angst. Unsere Mutter verkaufte die Wohnung, und wir flohen, zuerst nach Tadschikistan und dann weiter mit dem Flugzeug nach Deutschland. Dort lebten wir 1 ½ Jahre in einem Asylheim nahe dem Dorf Diemelstedt-Wrexen. Die Wohnbedingungen waren schrecklich.

Inzwischen haben wir eine kleine Wohnung in Korbach. Wir hoffen, daß wir in den nächsten zehn Monaten erfahren, daß wir bleiben können. Mina und ich, wir haben einen Deutschkurs besucht. Auch das hat unsere Mutter organisiert. Mina hat nach dem Abitur im Iran 2 ½ Jahre Architektur studiert. Ich habe das Abitur geschafft. Mein Wunsch ist es, Jura zu studieren. Unsere Mutter macht sich um unsere Zukunft große Sorgen. Wir beteiligten uns am Protestmarsch und am Hungerstreik.«

Rad Hermann, 47 Jahre, Iran
»Meine Heimatstadt ist Teheran. Dort arbeitete ich als Automechaniker.Dann war ich drei Jahre im Gefängnis. Danach floh ich in die Türkei, verbrachte dort sieben Jahre und weitere sechs Jahre in Luxemburg, erhielt auch einen Paß. Nach einem ›Zusammenstoß‹ mit Rassisten wurde er mir abgenommen und ich bin weiter geflohen nach Deutschland. Hier lebe ich schon elf Jahre in einem Asylheim bei Bitterfeld, aber bin noch nicht wirklich angekommen. Unser Heim hat Zimmer, die von vier bis fünf Leuten bewohnt werden. Ich werde mir vielleicht ein anderes Land zum Leben suchen, es gibt auch zu viele Nazis in Deutschland.«

Firoz Safi (geb. 1993), Afghanistan
»Mein Geburtsort ist Laghman, doch aufgewachsen bin ich in Dschalabad. Durch die schlimmen Zustände in meinem Land konnte ich nie zur Schule gehen. Ich kann weder lesen noch schreiben. Mutter und Vater wurden von den Taliban ermordet. Ob meine älteren Geschwister, ein Bruder und vier Schwestern, noch leben, das weiß ich nicht. Ich kann keinen Kontakt zu ihnen herstellen.

Nach dem Tod der Eltern half ein Onkel, bei dem ich in der Landwirtschaft arbeitete. Seit 11/2 Jahren bin ich auf der Flucht über Pakistan, Iran, Türkei, Griechenland, Italien, Frankreich bis nach Deutschland. Das Asylheim in Aub st nun mein Zuhause. Dort vegetieren wir, bekommen Eßpakete und dürfen uns nicht entfernen, nicht arbeiten, nicht lernen. Darum bin ich mit anderen nach Würzburg und nun nach Berlin gekommen.

Ich möchte keine Sozialhilfe, sondern arbeiten, um zu leben wie andere Menschen. Doch noch wichtiger ist es für mich, das ist mein größter Wunsch und ich hoffe, es bleibt kein Traum: Ich möchte zur Schule gehen.

Ich habe Fragen im Kopf: Warum behandeln sie uns so? Wir wollten unsere Heimat nicht verlassen. Wie lange müssen wir warten, um als Menschen wahrgenommen zu werden, bis wir verrückt werden oder Selbstmord begehen?«

Farid Mirzaiee, geboren am 15. Dezember 1988 in Kabul, Afghanistan
»Nach dem Abitur arbeitete ich als Gelegenheitskraftfahrer. Ich wartete auf einen Studienplatz, um Pilot zu werden. Dieser Wunsch entstand, weil mein Vater auf dem Flugplatz Bagram, etwas außerhalb von Kabul, beschäftigt war.

Doch nun ist das ein amerikanischer Stützpunkt. Durch den Krieg mußte ich fliehen und bin nach Deutschland gekommen. Seit 29 Monaten warte ich auf ein Asylverfahren.

Es ist ein sauberes Heim, wo ich untergebracht bin. Wir bekommen Taschengeld und zu essen.

Fünf bis sechs Männer bewohnen ein Zimmer. Doch das Warten vergiftet die Seele. Ich bin nicht der einzige, der schon oft an Selbstmord gedacht hat.

Der kleine Ort Aub liegt 35 Kilometer von Würzburg entfernt. Die Busverbindung ist sehr schlecht, früh einmal hin und mittags zurück, anders kommt man vor der Nacht nicht zurück ins Heim. Der Hausmeister sagt ›Kein Paß, kein Deutschkurs!‹

Jeden Tag rannte ich zur Poststelle, ob sich die Behörde meldet, – seit 2 ½ Jahren nichts. Zweimal in der Woche gibt es ein Eßpaket. Entweder die Lebensmittel haben keinen Aufdruck der Haltbarkeit oder die reichten nur noch zwei Tage.

Darum hab ich mich von Würzburg aus mit anderen auf den Protestmarsch nach Berlin begeben, weil die Bedingungen im Heim, das unerträgliche Warten ohne Aussicht auf ein Ende mich dazu zwangen.

Zehn von uns in Aub sind dabei. Drei sind hier am Brandenburger Tor gemeinsam mit mir in den Hungerstreik getreten. Doch auch die im Heim protestieren mit uns. Sie verweigern die Annahme der Eßpakete.

Die Alternative zu Selbstmord war für mich unser gemeinsames Handeln. Wir wurden während des Hungerns und der Kälte in den ersten Tagen in Berlin am Pariser Platz jede Nacht von der Polizei schikaniert. Doch wir werden nicht aufgeben, bis unsere Forderungen erfüllt sind.«

Amir Hassein Shikhzadeh, 21 Jahre, Iran
»Ich komme aus der Stadt Mashhad. ich habe nach bestandenem Abitur begonnen, Architekturplanung zu studieren. Die politischen Bedingungen zwangen mich, das Land zu verlassen. ich würde das Studium gern hier in Deutschland fortsetzen. ich bin fast zwei Jahre hier in Deutschland in einem Asylheim in Bayern. Ich hoffe, mit unserem Protest unsere Menschenrechte einfordern zu können.«

Sadegh Farahani, geb. am 10. Januar 1973, Iran
»Mein Beruf: Fotojournalist. Ich habe kritische Artikel geschrieben und bin dafür ins Gefängnis gekommen.

Danach gelang mir die Flucht. Ich wurde in Deutschland in die Region Nürnberg geschickt. Zu Beginn diesen Jahres hab ich mich anderen im Protest gegen die Asylbedingungen angeschlossen. In einem Protestzelt versammelten sich Menschen aus vielen Ländern, aus Äthiopien, Iran, Irak, Afghanistan …

Es geht darum, die Residenzpflicht abzuschaffen, Deportationen zu verhindern, die Form der Unterbringungen zu ändern: nicht in großen Lagern, sondern in menschenwürdigen Wohnungen. Für manche gilt die Residenzpflicht schon 10 bis 15 Jahre.«

Iqbal Omar, 19 Jahre, Afghanistan
»Der Krieg trieb mich aus meinem Land. So kam ich vor drei Jahren nach Deutschland in ein Kinderheim bei Nordhausen in Thüringen. Davor war ich in Frankfurt am Main, in Gießen und Eisenberg (Thüringen) untergebracht. Sechs Monate hatte ich eine Gelegenheitsarbeit. Aber ich möchte eine gute Ausbildung und mich mit anderen gemeinsam für unsere Forderungen einsetzen.

Darum beteilige ich mich hier am Protest. Ich möchte ein normales Leben ohne Angst vor Deportation. Ich bin der jüngste der Hungerstreikenden hier am Brandenburger Tor.«

Link: http://www.jungewelt.de/2013/01-12/005.php