Imagine being a refugee / Stellen Sie sich vor, Sie wären Flüchtling

* deutsch unterhalb *

Imagine being a refugee

Good Evening Ladies, Gentlemen and transgenders,
Take a strong painkiller. Then turn the front two oven rings of your oven on and wait until they are red hot. Then lay four fingers of your right hand on the right oven ring and the four fingers of the left on the left ring.

Why you are doing this?
It could be the only way to destroy the relationship between you on the one side, – meaning your holy personality here, your beautiful body, which enables your maybe even more beautiful soul to move; smashed and to have orgasms,- and, on the other side, the fingerprints, birth- and registration information, police photos and further information, which apparently refer to you, determine you and which apparently label you.

Why is this necessary?
Maybe you are a fighter against the regime of Kadyrow. You have fled and wanted to go to Salzburg, where a part of your family lives. But in Hungary you where caught by the police. After the Dublin two law Hungary is now responsible for you, you did manage to get to your family in Salzburg more than one time, but after a few weeks the Austrian police send you back to Hungary, where you can’t expect a fair judgement of your asylum application.

Maybe you come from an Arabian country and would like to love and have sex with whom you like, when you like, for whatever reason you and you lover want. This is not a reason for asylum; half the Arabic world could come if it was. Your application for asylum was turned down in Germany. You fought your way to Vienna and would like to try again there. But of course: your fingerprints are in the Eurodac register, where all European fingerprints of asylum seekers are stored.

Or you are a Kurd? And think that Kurds like Kosovon’s have the right to their own State. You don’t acknowledge that the UCK-people were treated as freedom fighters as they were politically right wing and fighting against the socialist Yugoslavia meanwhile Kurds are treated even in Europe as terrorists because they are politically left and fight against a NATO state like Turkey. You previously were a commander of the PKK and fled to Germany, where you are pursued by the German authorities as a “member of a foreign terrorist group”. After the murders of three Kurdish politicians in Paris, one of whom was your close friend and co fighter, you now fear for your life. Everything points to the Turkish government ordering the murders of Sakine Cansiz, Fidan Dogan and Leyla Saylemez. You could be next on the list.

Or you have learnt from history? You know that many of the people who were persecuted by the Nazi regime in Austria 75 years ago and could escape, survived because they managed to destroy the relationship between themselves and the data registered by the authorities about themselves. With a false passport they might have been able to cross the border in time and save themselves and escape death with a false identity. You want to send a message for the right of ambiguity, of diffusivity, of disappearing by burning your fingers. A right to live unidentified and uncontrolled. You want to point out that it is an imposition that the fingerprints of every citizen are saved in one’s passport: a police measure, which was invented to help in the fight against crime, was then widely used against immigrants and refugees and is now a standard application of state technology; today everyone is a potential criminal and as such registered. This enrages you!

Or you are one of the refugees, who marched in November from the refugee camp Traiskirchen to Vienna and sought safety in the Votiykirche. One of the demands for which you went on hunger strike was that your fingerprints would be deleted from the Eurodac-Computer when one country declines the asylum request, so you have a chance in a different EU country. You don’t see any other chance of making your demands known then by hurting you like that.. “The borders that exclude me from elementary human rights, from leading a good life, lay beyond barbed wire. The border which separates people from unworthy people: these are the fine lines on my fingers.” This is what you say before you press your hand on the oven.
“Stop, wait” I hear myself saying. “Maybe we can do it; a large protest movement might be the trick to get the human rights without somebody having to hurt themself to do so”

Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Flüchtling

von Tina Leisch, erschienen am 16. Februar 2013 als LeserInnenkommentar in DerStandard.

Sie nehmen ein starkes Schmerzmittel. Dann schalten Sie die vorderen beiden Platten des Elektroherdes ein und warten, bis sie rot glühen. Dann legen sie vier Finger der rechten Hand auf die rechte Platte und vier Finger der linken Hand auf die linke Platte. Und dann die Daumen. Warum Sie das tun?

Es könnte die einzige Möglichkeit sein, die Beziehung zu zerreißen zwischen Ihnen, also Ihrer heiligen Persönlichkeit hier, Ihrem hübschen Körper, der Ihrer vielleicht noch hübscheren Seele zu Beweglichkeit, Räuschen und Orgasmen verhilft, einerseits und dem Konvolut von Fingerabdrücken, Geburts- und Meldedaten, Polizeifotos und weiteren Informationen, die angeblich auf Sie verweisen, Sie determinieren, Sie angeblich eindeutig bezeichnen.

Warum das nötig sein könnte? Vielleicht sind Sie ein tschetschenischer Kämpfer gegen das Regime von Ramsan Kadyrow. Sie sind geflüchtet und wollten nach Salzburg, wo ein Teil Ihrer Großfamilie lebt. Doch in Ungarn hat die Polizei Sie aufgegriffen. Nach der Dublin-II-Verordnung ist nun also Ungarn für Sie zuständig. Es ist Ihnen zwar mehrmals gelungen, sich bis zu Ihrer Familie nach Salzburg durchzuschlagen, doch nach wenigen Wochen hat die österreichische Polizei Sie immer wieder nach Ungarn zurückgeschoben, wo Sie kein faires Asylverfahren zu erwarten haben.

Vielleicht stammen Sie aus einem arabischen Land und wollen gerne lieben und Sex haben, mit wem und wann und warum auch immer Sie und Ihre Geliebten Lust haben. Kein Asylgrund, da könnte ja die halbe arabische Welt daherkommen. Ihr Asylverfahren in Deutschland wurde negativ entschieden, Sie haben sich nach Wien durchgeschlagen und würden es gerne hier noch einmal versuchen. Aber natürlich: Ihre Fingerprints in der Eurodac-Kartei, in der europaweit alle Fingerabdrücke aller Asylsuchenden gespeichert werden, verhindern das.

Oder Sie sind Kurdin. Sie finden, dass die KurdInnen, genau wie die Menschen im Kosovo, das Recht auf einen eigenen Staat haben sollten. Sie sehen nicht ein, dass die UCK-Leute als Befreiungskämpfer behandelt wurden, weil sie politisch rechts und Kämpfer gegen das sozialistische Jugoslawien waren, während die KurdInnen, weil sie Linke und KämpferInnen gegen den NATO-Frontstaat Türkei sind, selbst in Europa als TerroristInnen diffamiert werden. Sie sind als ehemalige Kommandantin der PKK nach Deutschland geflüchtet, wo Sie nun von den deutschen Behörden als “Anhängerin einer ausländischen terroristischen Vereinigung” verfolgt werden. Nach den Morden an den drei kurdischen Politikerinnen in Paris, von den eine Ihre enge Freundin und Kampfgefährtin war, fürchten Sie um Ihr Leben – deutet doch alles darauf hin, dass Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez im Auftrag des türkischen Staates umgebracht wurden. Sie könnten die Nächste auf der Liste sein.

Oder Sie haben aus der Geschichte gelernt. Sie wissen, dass viele Verfolgte der vor 75 Jahren in Österreich errichteten Gewaltherrschaft der Nazis nur entkommen konnten, weil es ihnen damals gelang, die Beziehung zwischen den über sie gespeicherten Daten und ihrer Person zu zerreißen. Mit einem falschen Pass konnten sie sich vielleicht rechtzeitig über die Grenze retten, unter falscher Identität konnten sie der Vernichtung entkommen, die genau deshalb so viele Menschen erwischte, weil die Deutschen das Sammeln und Speichern von personenbezogenen Daten perfektioniert hatten wie kein Regime zuvor.

Sie wollen mit Ihrer Fingerverbrennung heute ein Zeichen setzen für das Recht auf Uneindeutigkeit, auf Diffusität, aufs Verschwinden. Auf ein Recht, unkontrolliert und unidentifiziert zu leben. Sie wollen darauf hinweisen, dass es eine Zumutung ist, dass die Fingerabdrücke jedes Bürgers und jeder Bürgerin nun im Pass gespeichert sind. Eine polizeiliche Maßnahme, die zur Verbrechensbekämpfung erfunden, dann zuerst flächendeckend gegen Flüchtlinge und EinwanderInnen eingesetzt wurde, ist nun zum Standardrepertoire der Herrschaftstechnologie geworden. Heute ist jede und jeder potenziell ein Verbrecher oder eine Verbrecherin und als solcher oder solche erkennungsdienstlich erfasst. Das empört Sie.

Oder Sie sind einer der Flüchtlinge, die im November vom Flüchtlingslager Traiskirchen nach Wien marschiert sind und in der Votivkirche Zuflucht gesucht haben. Eine der Forderungen, für die Sie in den Hungerstreik getreten sind, ist, dass die Fingerabdrücke aus den Eurodac-Computern gelöscht werden, wenn in einem Land Ihr Asylansuchen negativ beschieden wurde, so dass Sie die Chance haben, es in einem anderen europäischen Land noch einmal zu versuchen. Sie sehen keine andere Möglichkeit, Ihren Forderungen nach einem Recht auf ein gutes Leben Gehör zu verschaffen, als durch diese brutale Selbstbeschädigung.

“Die Grenze, die mich ausschließt von elementaren Menschenrechten, vom Recht, ein gutes Leben zu führen, die besteht nicht aus Stacheldraht. Die Grenze zwischen Mensch und Untermensch: Das sind diese feinen Linien auf meinen Fingern”, sagen Sie, bevor Sie die Finger auf die Herdplatte legen. “Halt, warten Sie!”, höre ich mich sagen. “Vielleicht schaffen wir es ja doch noch, eine breite, starke Protestbewegung zustande zu bringen, die den Menschenrechten Geltung verschafft, ohne dass sich jemand verstümmeln muss dafür.” (Tina Leisch, Leserkommentar, derStandard.at, 14.2.2013)