Die Abgeordnete zum Europäischen Parlament Ulrike Lunacek war am Freitag, 25.1., in der Votivkirche zu Besuch um mit den Flüchtlingen ins Gespräch zu treten. (Siehe dazu auch die Dokumentation in Wort und Bild.) Nach einer ersten öffentlichen Stellungnahme hat sie nun einen offenen Brief an Innenministerin Mikl-Leitner verfasst mit dem Appell, endlich den dringenden Handlungsbedarf zu erkennen und gemeinsam mit den Protestierenden Lösungen für die klaffenden Lücken im Asylsystem zu erarbeiten:
Appell zur Lösung des Konflikts um die Votivkirche-Flüchtlinge
Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
nach meinem Treffen vergangenen Freitag mit den Flüchtlingen, die mittlerweile schon seit Wochen in der Wiener Votivkirche ausharren und damit auf bestehende Mängel im österreichischen Asylsystem hinweisen, möchte ich Sie mit diesem Schreiben ersuchen, mehr als bisher auf die in diesem Zusammenhang vorgetragene Kritik einzugehen und für eine Verbesserung der Situation zu sorgen.
Sie nennen regelmäßig EU-Vorgaben als Grund für augenscheinliche Versäumnisse im österreichischen Asylsystem. Ich möchte Sie daran erinnern, dass europäische Richtlinien immer nur Mindeststandards setzen, es aber natürlich jedem EU-Mitgliedsstaat unbenommen ist, diese Minimum-Regelungen zu überbieten, um so dem Geist der jeweiligen Richtlinie und universellen wie europäischen Menschenrechtswerten besser zu entsprechen.
Besonders was den besseren Arbeitsmarktzugang von AsylwerberInnen betrifft, sehe ich großen Handlungsbedarf in Österreich. Damit zusammenhängend gibt es nach wie vor auch die Notwendigkeit, die Qualität der Asylverfahren in Österreich deutlich zu erhöhen. Denn die langen bzw. unzureichenden Asylverfahren bei gleichzeitiger quasi-verordneter Arbeitslosigkeit haben ja erst zu der untragbaren Situation geführt, die im aktuellen Protest der Votivkirchen-Flüchtlinge gipfelt.
Laut Volksanwaltschaft wurde 2012 in 382 Fällen eine zu lange Verfahrensdauer festgestellt und lediglich knapp zwei Drittel aller Verfahren werden vom Asylgerichtshof innerhalb eines halben Jahres erledigt. Laut Aussage von Wolfgang Taucher, Direktor des Bundesasylamts, in der ORF-Sendung “Im Zentrum” vom 27. Jänner 2013 dauern 1500 Asylverfahren bereits länger als fünf Jahre.
Diese Zahlen verdeutlichen die Notwendigkeit eines effektiven Arbeitsmarktzugangs für AsylwerberInnen. Einerseits, um sie nicht der Möglichkeit einer sinnstiftenden Beschäftigung zu berauben, andererseits damit sie zu ihrem Lebensunterhalt auch selbst einen Beitrag leisten können – und nicht zuletzt um der österreichischen Wirtschaft nicht teilweise hochqualifizierte Arbeitskräfte vorzuenthalten. Aus allen diesen Gründen ist die bestehende Einschränkung für AsylwerberInnen auf Saisonnierjobs in Landwirtschaft und Tourismus absolut unzureichend. Ich ersuche Sie auch in diesem Sinne auf ihre Amtskollegen im Wirtschafts- und Sozialministerium einzuwirken.
Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
neben diesen strukturellen Maßnahmen zur Verbesserung des österreichischen Asylsystems ersuche ich Sie, im konkreten Fall der Flüchtlinge in der Votivkirche in einen konstruktiven Dialog zu treten, um eine weitere Zuspitzung der Situation zu verhindern. Ich appelliere an Sie in Absprache und Zusammenarbeit mit Ländern, Kirchen und NGOs den Flüchtlingen in der Votivkirche einen gangbaren Weg aus dieser Pattstellung anzubieten.
Mit bestem Dank für Ihr Bemühen
und freundlichen GrüßenMag.a Ulrike Lunacek, MEP
Europasprecherin der Grünen
Außenpolitische Sprecherin der Grünen/EFA im Europaparlament
Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im
Europaparlament
Co-Vorsitzende LGBT Intergroup