Wien, 21. Jänner 2013
Stellungnahme des Bachelor-Studiengangs Soziale Arbeit des FH Campus Wien anlässlich der Refugee-Proteste in Österreich
Soziale Arbeit versteht sich aus ihrer fachlichen Tradition als solidarische Leistung für alle Menschen in Krisen- und Problemsituationen. Ungleiche soziale und ökonomische Verhältnisse sowie gesellschaftliche Ausschließungsprozesse zu benennen – auf nationaler wie auf internationaler Ebene – ist Voraussetzung, um problematische Lebensbedingungen zu verändern und Menschen in prekären Lebenssituationen zu unterstützen. Als politische Grund-lage des Handelns bezieht sich Soziale Arbeit in umfassender Weise auf die Menschenrech-te. Im Kontext von Migration, Flucht und Asyl sind die bürgerlichen/politischen Rechte und die wirtschaftlichen/kulturellen/sozialen Rechte (WSK-Rechte) ein zentraler Referenzrahmen.
Anlässlich der aktuellen Proteste der Refugee-Bewegung in Österreich und Europa erklären wir uns mit wesentlichen Forderungen solidarisch. Wir appellieren an alle politischen VertreterInnen und staatlichen AkteurInnen, sich für die prekäre Situation von Flüchtlingen in Österreich zu interessieren und die eigenen Möglichkeiten zu nutzen, um die Aufenthaltssituation in Österreich und der EU zu verbessern.
Auf folgende Aspekte wollen wir in diesem Zusammenhang besonders hinweisen.
1. Anerkennung sozioökonomischer Fluchtmotive
Im Zentrum des Flüchtlingsbegriffes nach der Genfer Flüchtlingskonvention (Art.1A, Abs.2) steht der Tatbestand der Verfolgung einer Person aufgrund der „Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Über-zeugung“. Im Jahr 1993 wurde bei der UN-Menschenrechtskonferenz in Wien die Unteilbarkeit der Menschenrechte festgehalten und damit die Bedeutung der WSK-Rechte aufgewertet. Das Recht auf Soziale Sicherheit (Art. 9), das grundlegende Recht, vor Hunger geschützt zu sein (Art. 11. Abs. 2), das Recht auf Schutz vor wirtschaftlicher und sozialer Ausbeutung für Kinder und Jugendliche (Art. 10 Abs. 3) oder das Recht auf Bildung (Art. 13 Abs1) können hier beispielhaft angeführt werden.
Die enge Definition des Flüchtlingsbegriffes in Politik und Rechtsprechung dagegen führt angesichts der weltweiten sozioökonomischen Realitäten dazu, dass zentrale Menschenrechte nicht erfüllt bzw. existentielle Bedrohungen im internationalen Kontext nicht angemessen berücksichtigt werden. Bezugnehmend auf die Unteilbarkeit der Menschenrechte plädieren wir dafür, sozioökonomische Fluchtmotive neben den bisher anerkannten Fluchtgründen anzuerkennen.2. Faires Asylverfahren und parteilich-unabhängiger Rechtsbeistand
Wir fordern einheitliche, menschenrechtskonforme und faire rechtsstaatliche Asylverfahren. Asylwerbende in Österreich dürfen nicht kriminalisiert werden und bei der Prüfung aller Asylanträge steht die Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte an oberster Stelle. Wir halten es für unerlässlich, dass gute infrastrukturelle Rahmenbedingungen, professionelle Hilfen sowie eine parteiliche, unabhängige Rechtsvertretung während des gesamten Asylverfahrens für die Betroffenen gesichert werden müssen.3. Freie Wahl des Aufenthaltes und Bewegungsfreiheit
Eine menschenwürdige Aufnahmepolitik für Asylwerbende muss darauf abzielen, ihre weitgehende Selbstbestimmung zu gewährleisten. Die derzeitigen Einschränkungen der Mobilität von AsylwerberInnen im Zulassungsverfahren sind zu verurteilen. Die freie Wahl des Aufenthaltsorts und eine größtmögliche Bewegungsfreiheit von AsylwerberInnen in Österreich sind zu ermöglichen. Wir kritisieren auch die ungleiche Verantwortungsübernahme der Länder bei der Unterbringung von AsylwerberInnen in Österreich und konstatieren bezugnehmend auf das Dublin-II-Abkommen auch das Versagen einer EU-weiten Asylpolitik. Vor dem Hintergrund uneinheitlicher Unterbringungs-, Versorgungs- und Rechtsstandards ist die Rückführung von AsylwerberInnen in Erstaufnahmeländer äußerst problematisch.4. Verbesserung der Grundversorgung für AsylwerberInnen
Eine menschenwürdige Unterbringung und bessere Grundversorgung für alle AsylwerberInnen, die in Österreich aufhältig sind, ist zu gewährleisten. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben in den letzten Jahren die Mängel bei den Grundversorgungsleistungen (z.B. Höhe der finanziellen Leistung, Unterbringungssituation, Vollversorgung statt Ermöglichen von Selbstversorgung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, etc.) kontinuierlich problematisiert. Um zumindest die vielerorts gebotene Anhebung von Qualitätsstandards in der Vollversorgung von AsylwerberInnen tatsächlich umzusetzen (Unterkunftslage, Infrastruktur, Transport, Verpflegung, Tagesangebote, Wohnbetreuung etc.) sind professionelle AnbieterInnen zu bevorzugen und die dafür notwendigen Finanzmittel bereit zu stellen. Die Schaffung europa-weiter menschenrechtskonformer und qualitätsvoller Standards für die Unterbringung von AsylwerberInnen in Österreich und in der EU ist uns ein Anliegen.5. Zugang zu Arbeit, Bildung und Krankenversorgung
Der freie Zugang zum Arbeitsmarkt ist eine zentrale Basis für ein menschenwürdiges Leben. Wir fordern daher für Asylwerbende und Hilfs- und schutzbedürftige Fremde den freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt, um Eigeninitiative zu ermöglichen, die Einkom-menssituation zu verbessern, die Integration ins soziale Sicherungssystem sowie gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. AsylwerberInnen ist u.E. der Zugang zur landesüblichen, weitreichenden Krankenversorgung sowie zu allen Einrichtungen des Bildungssystems zu eröffnen.6. Ausbau psychosozialer Unterstützungsleistungen
Existenzbedrohende Erfahrungen durch die Situation im Herkunftsland oder auf der Flucht stellen für die Betroffenen eine besondere physische und psychische Belastung dar. Die Unterstützung dieser Personen durch individuelle, professionelle Hilfe ist daher besonders be-deutend. Der Zugang zu bedarfsorientierter medizinischer Versorgung, zu therapeutischen Hilfen und zu einer fachlich-versierten, psychosozialen Begleitung ist dringend geboten. Die Bereitstellung zusätzlicher staatlicher Mittel für den Aufbau entsprechender Kapazitäten und die Vergabe an professionelle Trägerorganisationen ist dringend geboten.