*English version below*
Ich möchte mich zu Wort melden anlässlich eines Hungerstreiks von Flüchtlingen in der Votivkirche in Wien. Es ist Samstag der 12. Januar 2013, vormittags.
Was ich sage sind nur halbwegs vorbereitete Beobachtungen und Bemerkungen, und ich ersuche jeden um Widerspruch, dort, wo es notwendig ist. Die Überlegungen sind unfertig und kommen aus einer Situation, die sich fortwährend ändert und ich habe keine allgemeinen Urteile zu machen.
Soweit ich es beurteilen kann, sind zur Zeit 67 Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern in der Votivkirche, davon sind 45 in einem Hungerstreik. Unter diesen 45 wiederum ist eine ganze Anzahl von Hungerstreikenden, die, soweit ich das beurteilen kann, sich seit mehr als 20 Tagen in Hungerstreik befinden. Und, soweit ich weiß, ist diese Situation, dass 45 Personen längere Zeit hungerstreiken in Österreich ein Geschehen, das einmalig ist, das etwas Besonderes ist und wohl auch etwas besonders Schwieriges ist.
Ich bin kein Arzt und kann über den Gesundheitszustand nicht so viel sagen, nicht mehr sagen, als dass ich von Donnerstag auf Freitag hier übernachtet habe und der Zustand – der körperliche Zustand, der Zustand der Kräfte – von Donnerstag bis heute schlechter geworden ist bei denjenigen, mit denen ich gesprochen habe.
Die Kirche ist, kann man sagen, ungeheizt, obgleich es ein Heizsystem in der Votivkirche gibt – es stehen ein paar Heizstrahler zu Verfügung, deren Wirkung sehr geringfügig ist. 45 Personen streiken insgesamt glaube ich, 67 übernachten hier. 45 hungerstreiken, 67 übernachten hier als Streikende auf Matratzen und Schlafsäcken mit ganz vielen Decken. Entgegen einiger Stellungnahmen, die ich in der Öffentlichkeit gelesen und gehört habe, ist die Kirche in einem außergewöhnlich guten Zustand und ich würde eigentlich sagen, dass das, was ich sehe, hier, unter den Säulen dieser riesigen Kirche, etwas ist, dass vielleicht noch niemand aus der katholischen Kirche hat sehen können oder wollen. Eigentlich handelt es sich um eine Krippe mit ganz vielen Decken und sehr vielen jungen Menschen; ein beträchtlicher Teil dieser 67 Personen sind junge Leute würde ich sagen, fast Kinder, jedenfalls Jugendliche, manche im Alter meines Sohnes, um die 20 Jahre herum. In einer Aussendung ist dieses große Bett, dass ich eigentlich als Krippe ansehen würde, als Saustall bezeichnet worden, und ich würde das sogar bejahen, es handelt sich fast um den Stall, in dem auch jemand vor über 2000 Jahren geboren wurde. Ich glaube, dass es sich bei diesem Saustall um einen sakralen Ort gehandelt hat, der sakral geblieben ist bis heute – und ich glaube, dass der sakralste Ort in dieser Stunde und in diesen Tagen in der Votivkirche dieses große Bett ist, in dem 67 Personen in eisiger Kälte seit einigen Wochen wohnen. Ich empfinde diesen Winkel hier als heiliger als den Altar, dem ich gegenübersitze, und heiliger als den Tabernakel in dieser Kirche.
Ich fordere die katholische Kirche auf, nicht alle Last der Caritas zu übertragen bei der Betreuung dieser Menschen und endlich das Plakat auf der Vorderseite dieser Kirche herunterzureißen, auf dem für die Autoindustrie – allgemein eigentlich, aber insbesondere für die Firma Mazda – geworben wird, unter dem Titel ‘Leidenschaftlich anders’. Und ich bitte diese Kirche endlich leidenschaftlich zu werden – das ‘anders’ kann man eigentlich wegstreichen, ‘leidenschaftlich’ genügt – und auf diese Fläche auf der Fassade der Votivkirche endlich eine große Photographie dieser außerordentlichen Krippe anzubringen, und ich werde diese Photographie mit 2000€ sponsern. Ich bitte, dieses Mazda-Plakat sofort zu entfernen und auf die Photographie auch einige der Gedanken der hier Streikenden aufzuschreiben.
Das Besondere der Situation hier ist nicht nur die große Zahl der Protestierenden in der Kirche, sondern auch ihre Gewaltlosigkeit. 67 gewaltlos Protestierende. Die Kirche könnte stolz darauf sein und ich bin mir auch sicher, dass viele Gemeindemitglieder wirklich stolz darauf sind – vielleicht könnten sie es etwas deutlicher sagen.
Was die Forderungen der Streikenden betrifft, so unterstütze ich alle Forderungen, die wir kennen, die ich, glaube ich, jetzt nicht wiederholen muss. Ich würde darüber hinaus ersuchen, dass die Streikenden und die sie unterstützenden Personen eine Art von Refugee Parliament gründen. Durch dieses könnten alle beteiligten Personen besser mit politischen Vertretern und Behörden, besser mit der Öffentlichkeit, besser vor allem auch mit anderen Flüchtlingen kommunizieren. Ich glaube nicht, dass die vielen anderen Menschen, die nach Österreich gekommen sind als Flüchtlinge oder als migrierende, emmigrierende, immigrierende Menschen, sehr gut informiert sind über das, was hier passiert. Es geht aber auch um ihre Sache hierbei. Vielleicht könnte eine Sache, die ein Refugee Parliament sein könnte, die Situation hier verbessern und das Gespräch verbessern, unter anderem auch das Gespräch mit dem Innenministerium, das eisig abläuft, das ungefähr so kalt ist wie die Atmosphäre hier in diesem großen Raum.
Insgesamt finde ich das Berichten und Reden, das Nachdenken über Flüchtlinge in Österreich allzu sehr geprägt von Diskriminierung und genauer gesagt eigentlich Diskreditierung. Es gibt sehr wenig Lob für Menschen, die nach Österreich flüchten, es gibt auch sehr wenig Stolz darauf, dass Menschen in dieses Land flüchten. Manche kommen ja nur zufällig hierher, manche wollen nach Österreich, vielleicht auch aus guten Gründen, auf die man stolz sein könnte.
Die allgemeine Entmutigung schlägt sich auch nieder in den Reden der Politiker. Einer der Entmutigten ist wohl der Bürgermeister dieser Stadt, der keinerlei Stolz darauf empfindet, dass gewaltlos gestreikt wird, für eine wichtige Sache, von den Ärmsten, die es in diesem Land gibt, ärmer noch als die Bettelnden, oder sagen wir gleich arm. Wenn ich das richtig gelesen habe in der Tageszeitung ‘Der Standard’, so ärgert sich der Bürgermeister dieser Stadt, dass dieser Protest in Wien stattfindet. Ich hingegen freue mich, dass dieser Protest in Wien stattfindet: Es ist eine Erweiterung dieser Stadt und eine Politisierung dieser Stadt, die dringend benötigt wird, und von vielen Menschen auch gesucht wird.
Die Aktivisten, die die Flüchtlinge unterstützen, missbrauchen die Flüchtlinge, so wird die Rede des Bürgermeisters im Standard berichtet; und wortwörtlich heißt es: ‘Da dreht es mir den Magen um, um es sehr freundlich zu sagen’. Ich frage mich und auch den Herrn Bürgermeister Häupl, ob er tatsächlich der Meinung ist, dass er hier etwas freundlich gesagt hat, ob er hier etwas ‘sehr freundlich’ gesagt hat. Und was er denn damit meint, wenn er es auf eine unfreundliche Art und Weise sagen würde: Was ist mit der Unfreundlichkeit insinuiert, wenn dieses hier freundlich sein soll? Und ‘da dreht es mir den Magen um’, oder ‘es könnte noch unfreundlicher werden’, was heißt das? Heißt das, er würde kotzen, in diesen Saustall, in diesen sakralen Raum? Darauf hätte ich gerne eine Antwort, nicht persönlich, sondern öffentlich.
Das genügt.
Peter Waterhouse, Wien, 12.1.2013
I’d like to take this opportunity to speak about the hunger strike of Refugees in the Viennese Votiv Church. It’s Saturday, 13th January 2013, in the morning.
What I’ll be sharing with you here are only partially prepared reflections and observations, and so I invite you to disagree wherever necessary. These reflections are unfinished and pertain to a situation that’s permanently changing, and I won’t apply any general judgements to it.
As far as I can tell, the Votiv church currently harbours 67 refugees from different countries, of which 45 are on hunger strike. Out of those 45, there are in turn many already past their 20th day of hungerstrike. And as far as I know, this situation – 45 persons being on hunger strike over such a long period – is a singular occurrence in Austria. This means it’s quite an extraordinary situation and also a particularly difficult one.
I’m no doctor, so I can’t speak about the health of the protesters in any detail. All I can say is that as I spent the night here from thursday into friday, the physical condition and the forces of those I spoke to have deteriorated.
The church is basically not heated, despite the existence of a heating system in the Votivchurch – there are a few radiators here and there but their effects are minor. Out of the 67 persons sleeping in the church, some 45 persons are on hunger stike: they sleep on matresses and sleeping bags, using lots of blankets in addition. Contrary to the claims I heard and read in the public sphere, this church is in extraordinarily good condition, and I really would say that what I’m witnessing here beneath the pillars of this giant church is something perhaps unseen by anyone from the catholic church, whether because they couldn’t or didn’t want to see it. In fact what we’re dealing with is a manger scene, a crib with lots of blankets and young people: a considerable part of the 67 persons here are young I would say, almost children, in any case they’re youth, some of them around the age of my son, some 20 years old.
In a previous press release, this big bed – which I would really consider to be a crib – was referred to as a messy ‘pigstall’, and I would even affirm that, it’s almost like the stable in which a certain person was born more than 2000 years ago. I believe this ‘pigstall’ was a sacred place, one that’s still sacred today, and I think that the most sacred space in this hour and in these days is indeed this big bed in the Votiv church, this bed in which 67 persons are living in a cold climate. I feel that this corner here is more sacred than the altar opposite me, and more holy than the tabernacle in this church.
I call upon the catholic church to not leave the task of caring for these people with the Caritas alone, and I request that they finally remove the commercial on the exterior of this church, an advertisement of the car industry – and more specifically the ‘Mazda’ company – with the slogan ‘passionately different’. And I ask this church to finally become passionate: we can skip the ‘different’, passion is enough. And I ask this church to finally install a big photograph of this extraordinary crib on the exterior of the church – I’ll donate 2000€ to this photography. I ask you to immediately remove this Mazda advertisement, and to also print some of the reflections of the people on strike onto the photograph.
The particularity of this present situation is not just the large number of protesters in the church, it’s also their refusal of violence. 67 non-violent protesters. The church could be proud of this, and I’m sure that many of its members truly are proud of this – maybe they could express this more clearly.
As concerns the demands of those on strike, I support all known demands, without having to repeat them just now. Beyond this I would also ask that the strikers and the persons supporting them found a kind of refugee parliament. This would allow for better communications with political representatives and offices, with the public and especially also with other refugees. I don’t think that many of the people who came to Austria as refugees, migrants, emmigrants and immigrants are very well informed about what’s happening here. Yet this also concerns them. Maybe something like a refugee parliament could improve the situation and the dialogue here, including the dialogue with the interior ministry which is currently as cold as ice, about as cold as the atmosphere in this big room.
In general, I consider the reporting, speaking and reflecting about refugees in Austria to be marked by discrimination and actually more precisely also by discreditation. There’s very little appreciation for people who seek refuge in Austria, and also very little pride in the fact that people come to seek refuge in this country. Some only arrive here by chance, some want to arrive just here, perhaps for good reasons that may be an occasion to be proud.
General disheartenment can also be witnessed in the discourses of politicians. One of the most disheartened people might well be the mayor of this city, who has no appreciation whatsoever for the fact that there’s a non-violent protest by the poorest people in the country going on here, people who are still poorer than those begging in the streets, more precarious still than ‘the poor’. If I read this mayor’s statement in the ‘Standard’ newspaper correctly, he is angry about the fact that this protest is taking place in Vienna. I myself am very happy about this protest happening in Vienna, on the other hand: it enriches and politicizes this city in ways urgently needed and desired by many.
The mayor is quoted to have claimed that the activists who support the refugees are in fact instrumentalising them. The precise words he puts to this are: ‘This makes my stomach revolt, to put it in very friendly terms.’ I ask myself, and I also ask Mr. Häupl, if he really thinks he’s putting anything in friendly terms here, if he put anything in ‘very friendly’ terms here. And what he would mean, if he would put it in an unfriendly way: what might his unfriendliness insinuate, if this statement claims to be friendly? And ‘my stomach revolts’, or ‘it could still be less friendly’, what does that mean? Does that mean he might vomit, into the middle of this pigstall, into this sacral space? I would like to receive an answer on this, not a personal one but a public one.
That´s enough.
Peter Waterhouse, Vienna, 12.1.2013