DIALOGUE IN PEACE
Dialog in der Votivkirche am 03.01.2013
Der Dialog wurde auf Englisch geführt und von Nana-Gyan Ackwonu für die Dialoggruppe auf Deutsch übersetzt. Dieses Protokoll beruht NICHT auf einer Audio Aufnahme, weshalb es nicht möglich war den genauen Wortlaut zu übernehmen. Aus Datenschutzgründen haben wir die Flüchtlinge nicht mit ihren Namen zitiert.
Hans Wögerbauer:
Seit mehr als 10 Tagen bin ich täglich bei Ihnen, anfangs um medizinische Unterstützung zu bringen, dann aber, um Sie besser verstehen zu lernen. Ich habe Sie alle als mutige, friedfertige, gute, aber auch sehr verzweifelte Menschen kennengelernt und kann heute Ihre Sorgen und Probleme verstehen.
Österreich ist ein gutes Land, aber Sie zeigen uns, dass wir noch vieles zu verbessern haben.
Probleme von heute können nicht immer mit Werkzeugen von gestern gelöst werden.
Viele von Ihnen leben schon längere Zeit bei uns in Österreich. Sie sind zu uns gekommen, weil Sie in großer Not gewesen seid. Wenn aber nach all den Jahren, die Sie bei uns leben, Hoffnungslosigkeit, Angst und Verzweiflung das Ergebnis unserer Hilfestellung ist, dann haben wir als Gastgeberland, das immer schon Flüchtlinge aufgenommen hat, noch viel zu lernen.
Wir leben alle in einer Welt und es gelten für uns alle die gleichen Menschenrechte, aber wir können nur gut miteinander leben, wenn wir miteinander in Dialog sind, einander verstehen und vertrauen. Nun sind wir als eine private Gruppe gekommen, um einen Dialog zu beginnen, einen Dialog des Friedens.
Georg Wögerbauer:
Im Dialog geht es darum, miteinander zu sprechen und zuzuhören, dazu sind wir hier. Wir bringen keine Lösungen. Wir wollen zuhören und verstehen!
Wir wollen versuchen, zu verstehen, was in Ihnen vorgeht, und wie Sie sich fühlen, hier in dieser eiskalten Kirche, seit 13 Tagen in Hungerstreik. Wir sind hier, weil wir glauben, dass in dieser sehr komplexen Situation gegenseitiges Zuhören und Verstehen Vertrauen schaffen kann und vielleicht auch neue Lösungsmöglichkeiten eröffnet.
Martin Wögerbauer-Schreihans:
Ich möchte mich bedanken, dass wir heute hier sein können und will Ihnen Grüße von Kardinal Schönborn bringen.
Flüchtling:
Danke, dass sie heute hier sind.
Eines der größten Probleme ist, dass niemand fragt, wer wir sind oder was wir wollen.
(Khan spricht Englisch. Die Dialoggruppe hat Schwierigkeiten zu folgen. Nana wird gebeten auf Deutsch zu übersetzen. Khan geht dann auf das Problem der Sprachbarrieren ein.)
Es ist egal, welche Sprache wir sprechen: Was wir vermitteln wollen ist eine Botschaft des Herzens. Ich spreche manchmal Urdu, manchmal Pashtu, aber es ist die Sprache des Herzens, die zählt.
Wir sind mit großen Problemen konfrontiert: So viele Menschen versuchen, uns zu vereinnahmen, dabei sind wir nur auf der Suche nach unseren Menschenrechten. Uns wird oft der Vorwurf entgegen gebracht, wir würden politisieren, weil wir mit NGOs zusammenarbeiten. Allein dieser Vorwurf ist eine Schande für das österreichische politische System. An wen hätten wir uns denn wenden sollen? Wir haben die Unterstützung im Camp gebraucht.
Wir sind nicht hier, um zu reizen oder zu stören, wir wollen nur auf unsere Rechte aufmerksam machen. Es werden oft Stimmen laut, warum wir eine katholische Kirche besetzen und keine muslimische Einrichtung. Nun, es geht uns nicht um religiöse Anliegen, sondern um unsere Menschenrechte, und wir brauchen mediale Aufmerksamkeit, um auf die Missstände hinzuweisen.
Das Interesse am Asylrecht ist im Moment groß: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um etwas zu verändern!
Wir glauben nicht mehr an das österreichische System.
Wir wollen, dass man auch nach den Gründen fragt, weswegen wir zu Flüchtlingen geworden sind. Es sollen die globalen Zusammenhänge erkannt werden.
Im Moment sind wir in einer sehr schwachen Position: Erstens aufgrund der Kälte und zweitens weil wir von den Autoritäten unterdrückt werden. Wir haben kein Vertrauen mehr in die Polizei, sie haben unser Camp geräumt.
Wir heißen alle Diskussionen willkommen und wollen so schnell wie möglich Lösungen finden, auch weil die Hungerstreikenden mit zunehmenden physischen Problemen wie Blutdruck, Nierenproblemen und Unterzuckerung zu kämpfen haben.
Viele Menschen hier haben alles verloren: Familien, Unternehmen, usw.. Wir müssen uns an humanitäre Organisationen und Menschenrechtsorganisationen wenden.
Der Druck, abgeschoben zu werden lastet schwer auf uns: ‚Wir sind nicht hierhergekommen, um zu sterben.’
Ich selbst komme aus einer Region in Afghanistan, wo seit 30 Jahren Krieg herrscht. Die Menschen dort werden unterdrückt, die Jungen sind Gehirnwäsche ausgesetzt, die sie zu Selbstmordattentätern macht, die Medien werden kontrolliert. Die USA und die NATO haben die Situation weder gelöst, noch können sie sie verstehen. Wann wird die Frage gestellt, welchen Anteil USA und NATO an der Situation haben, vor der wir fliehen müssen?
Hans Wögerbauer:
Was können wir tun, um euch zu unterstützen?
Flüchtling:
Ihr könnt unsere Position erklären und die österreichische Zivilbevölkerung informieren. Österreich investiert viel Geld in die Regionen, aus denen wir fliehen, doch das Geld bleibt dort bei einigen Wenigen hängen.
Wir stellen keine großen Ansprüche, wir wollen nur unsere Menschenrechte, wir wollen eine Aufenthaltsgenehmigung.
Einer meiner Freunde ist aus einer Region geflohen, in der die NATO-Bombardements sehr heftig waren. Nach 7 Jahren Warten in Österreich hat er einen negativen Bescheid bekommen.
Wir wollen unabhängiger sein, wir wollen ein menschenwürdiges Leben während des Aufenthaltes. Ein weiteres Problem ist die Fingerprint-Regelung. Wir können in keinem anderen Land Asyl beantragen. Dabei wäre es in Italien zur Zeit möglich, mit Dokumenten aus Pakistan in 2-3 Monaten eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Aber wir können dort kein Asyl beantragen, weil unsere Fingerabdrücke gespeichert sind. Einige Flüchtlinge überlegen auch, sich die Finger abzuschneiden, um nicht mehr identifiziert werden zu können, und so noch einen Asylantrag stellen zu können.
Danke!
Flüchtling:
Danke, dass ihr heute hier seid. Ich bin jetzt seit 3 Monaten in Österreich und der Sprecher der Flüchtlinge. Es ist nicht von Bedeutung, ob wir aus Pakistan, Indien, Somalia oder woher auch immer kommen. Was uns verbindet ist, dass wir alle Flüchtlinge sind.
Ich möchte euch fragen, wie ihr euch in dieser Kirche mit verschlossenen Türen fühlt?
Wir sind bis nach Österreich gekommen, von Traiskirchen nach Wien in das Refugee Camp und nun in der Votivkirche. Und hier stellt man uns unter Quarantäne. Niemand will unsere Forderungen hören, alle verschließen die Ohren und wir sind hier eingesperrt.
Was ist eure Meinung dazu, dass die Kirchentüren geschlossen wurden?
Hans:
Ich habe gehört, dass die Schließung der Kirche aus Sicherheitsgründen und auch zum Schutz der Flüchtlinge vorgenommen wurde. Diese Dialoggruppe ist hier, um ein Sprachrohr nach Außen zu legen.
Flüchtling:
Wir brauchen keinen Schutz vor der Zivilbevölkerung, sondern vor der Polizei. Wenn unsere Forderungen von der Bevölkerung nicht verstanden werden, wäre jeder eingeladen mit uns zu reden!
Das Camp wurde von der Polizei zerstört, von keiner anderen Gruppe!
Die Flüchtlinge leiden durch diese Situation zunehmend an psychologischen Problemen. Könnt ihr euch vorstellen, wie es ist, wenn man nirgendwo Respekt findet? Sie fangen an sich zu fragen: Welchen Sinn hat mein Leben?
Kennt ihr unsere Forderungen?
Wir zählen sie gerne noch einmal auf:
1. Öffnet die verschlossenen Türen! Niemand kann zu uns kommen, um uns zu hören und mit uns zu sprechen. Unsere Forderungen können nicht gehört werden.
2. Positive Aufenthaltsgenehmigung: Wir können nicht jahrelang warten, um dann einen negativen Bescheid zu bekommen und abgeschoben zu werden.
3. Freie Bildung für alle Flüchtlinge: Wir haben keine Arbeitsgenehmigung und Bildungskosten sind in Österreich sehr hoch.
4. Erhalt der Arbeitserlaubnis.
Die Forderungen 2-4 ergeben nur Sinn, wenn sie gemeinsam erfüllt werden.
5. Isolation beenden: In den isolierten Asylheimen ist kein richtiges Leben möglich!
6. Stoppt die Abschiebungen! Es gibt keine Einspruchsmöglichkeit gegen einen negativen Asylbescheid.
Wenn diese Forderungen nicht erfüllt werden, dann wäre das Mindeste die Löschung der Fingerabdrücke, um die Möglichkeit zu haben, in einem anderen Land um Asyl zu ersuchen.
Wir haben das Gefühl, dass nur die Löschung der Fingerabdrücke Aufmerksamkeit erregt, dabei geht es uns vorrangig um die anderen Forderungen, denn sie sind nach Priorität geordnet. Man sollte mit Punkt 1 beginnen!
Was denkt ihr als gebildete Menschen, viele von euch sind Ärzte, darüber?
Dr. X.:( Dialoggruppe)
Ich bin selbst Arzt und ich möchte, dass ihr wisst, dass viele Menschen wir ihr denken. Es ist keine Frage, die Lebensbedingungen für Flüchtlinge müssen verbessert werden, aber diese Veränderung wird Zeit brauchen. Meine Bitte als Arzt ist: Hört auf zu hungern! Ihr braucht die Kraft, um diesen Kampf weiter zu führen!
Flüchtling:
Es gibt für Flüchtlinge in Österreich keine Sicherheit. Der Zustand der Hungerstreikenden ist sehr kritisch. Ich möchte auch an die Katastrophen erinnern, die es bei Abschiebungen schon gegeben hat (Verweis: Omofuma). Die österreichische Polizei ist im Umgang mit Flüchtlingen nicht gebildet. Es gibt keinen Respekt für Flüchtlinge!
Georg:
Wir sind hier, um zuzuhören und zu verstehen! Wenn ihr wollt, kann das der Beginn eines Dialogs sein.
Hans:
Wir sollten uns auf die Forderungen konzentrieren, die in unmittelbarer Zukunft realisierbar sind.
Christine (Dialoggruppe):
Wir fühlen uns sehr hilflos und ohnmächtig. Wir sind keine politische Gruppierung. Wir sympathisieren mit euch allen und wollen euch unterstützen. Wir wollen die Aufmerksamkeit erhöhen und wir versprechen euch die Botschaft zu verbreiten und mit anderen zu teilen!
Flüchtling:
Im Namen aller: Danke, dass ihr zuhört, danke dass ihr es verbreiten wollt! Wir können das System nicht selbst verändern, aber ihr könnt es! Kommt zur nächsten Demonstration und kommt mit allen Ärzten aus allen Krankenhäusern. Wir werden vor dem Parlament stehen bleiben, vielleicht habt ihr Einfluss!
Ihr seid alle Wähler: Verfügt über eure Stimme!
Respekt für alle Menschen!
Alex Trojovsky:
Die österreichische Gesellschaft ist kein einheitlicher Block. Es gibt viele Menschen, die eure Forderungen schon lange unterstützen. Es gibt auch den konservativen und rechten Teil, die euch nicht zuhören wollen. Doch die Menschen dazwischen interessieren sich gerade für euer Thema. Die Medienresonanz ist gut. Eure Aktionen sind bekannt und fördern die Diskussion und das Nachdenken. Ihr helft der österreichischen Gesellschaft, sich in die richtige Richtung zu entwickeln!
Flüchtling:
Wir wissen, ihr habt keinen direkten Einfluss, aber wie wollt ihr die Botschaft verbreiten? Wie wollt ihr die Gesetze verändern? Danke, dass ihr euch Zeit genommen habt, um zuzuhören, doch nur zuhören ist nicht genug!
Georg Wögerbauer:
Danke für diese Zusammenkunft! Das, was wir erfahren haben, war nicht nur Information für das Gehirn, sondern auch für das Herz. Wir werden die Botschaft verbreiten und wir wissen, dass es Menschen gibt, die Interesse haben und die uns zuhören werden und die Botschaft weitertragen. Wir empfinden großen Respekt und Wertschätzung für alles, was ihr schon bewirkt habt.
Hans Wögerbauer:
Alleine können wir das System nicht verändern, aber wir können den Geist in unserer Umgebung verändern! Und würden uns freuen, den Dialog aufrecht zu halten.
Flüchtling:
Danke für euer Kommen! Es ist wahr, niemand kann das System alleine verändern, aber wir können es zusammen verändern. Um ein Klatschen zu erzeugen, braucht man zwei Hände, und diese zwei Hände müssen zusammenkommen!
Flüchtling:
Eine Idee, bevor Gesetze in Kraft treten, wäre, dass sie zuerst an sich selbst, dann an den eigenen Kindern und dann erst an anderen angewandt werden dürfen. Dann würden unsere Lebensbedingungen anders aussehen!
Flüchtling:
Ich wollte sagen, dass ich sehr verwirrt bin und nicht verstehe, warum unsere Forderungen nicht wahrgenommen werden.
Wir sind auch Menschen! Wir wollen auch Weihnachten und Neujahr feiern, stattdessen sterben wir hier!
Wir wollen mit der ersten Forderung beginnen!
Georg Wögerbauer:
Vielen Dank für den Beginn dieses Dialogs und herzlichen Dank an Nana für die Übersetzung!
Dialog des Friedens
Wir sind eine partei-und religionsunabhängige Gruppierung, die aus eigener Betroffenheit einen Dialog mit den Flüchtlingen hergestellt hat. Dialog bedeutet für uns durch gegenseitige Wertschätzung und einfühlsames Verstehen einen Raum des Vertrauens zu schaffen, in dem Probleme erörtert und nach bestmöglichen Lösungen gerungen werden kann.
Hans Wögerbauer (office@dr.woegerbauer.at)
Georg Wögerbauer (georg@woegerbauer.at)
Martin Schreihans-Wögerbauer
Alexander Trojovsky
Leonie Volonte
Sigrid Wögerbauer
Link zu einem empfehlenswerten Artikel von Dr. Georg Bürstmayr:
http://derstandard.at/1356426519994/Asylproteste-Die-Angst-vor-dem-Streben-nach-Glueck