Seit nunmehr einem Monat gibt es das Refugeecamp im Sigmund-Freud-Park neben der Universität Wien und vor der Votivkirche. Am 24. November waren Asylwerber_innen aus dem Betreuungszentrum Traiskirchen zu Fuß nach Wien gezogen, um auf ihre prekären und menschenunwürdigen Lebensbedingungen aufmerksam zu machen. Wer wollte, konnte hören, was sie zu sagen hatten, was sie wünschten und forderten. Von Regierungsseite bestand kein Interesse an Kontaktaufnahme, an Kommunikation und an der Suche nach Lösungen für die Probleme der Geflüchteten. Und so begaben sich am 18. Dezember, dem im Jahr 2000 von der UNO ausgerufenen Internationalen Tag der Migrant_innen, einige der Geflüchteten in die Votivkirche, um endlich gehört zu werden.
Die Geflüchteten forderten:
1.) Grundversorgung für alle Asylwerber_innen, unabhängig von ihrem Rechtsstatus, solange sie in Österreich aufhältig sind;
2.) freie Wahl des Aufenthaltsortes sowie Zugang zum öffentlichen Wohnbau für alle in Österreich aufhältigen Asylwerber_innen – keine Transfers gegen den Willen der davon Betroffenen;
3.) Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildungsinstitutionen und Sozialversicherung für alle in Österreich aufhältigen Migrant_innen;
4.) Stopp aller Abschiebungen nach Ungarn – Stopp aller Abschiebungen in Zusammenhang mit der Dublin-2-Verordnung;
5.) Einrichtung einer unabhängigen Instanz zur inhaltlichen Überprüfung aller negativ beschiedenen Asylverfahren;
6.) Anerkennung von sozioökonomischen Fluchtmotiven neben den bisher anerkannten Fluchtgründen.
Um 18 Uhr wird die Votivkirche normalerweise zugesperrt. Die Geflüchteten wollten aber bleiben. und richteten sich mit Matratzen einen Schlafplatz ein. Ob der Pfarrer mit der Polizei gedroht hat, darüber gibt es unterschiedliche Berichte. Jedenfalls meldete die katholische Presseagentur kathpress, dass die Polizei bereits involviert sei.
Die Caritas schaltete sich ein, und in der Folge kam es zu Verhandlungen zwischen Vertreter_innen von Geflüchteten, Unterstützer_innen, Kirche und Caritas hinter verschlossenen Türen. Mehr als hundert Personen warteten auf Ergebnisse. Kurz vor 21.30 Uhr wurden die ersten präsentiert: Es solle weiterverhandelt werden, bis es wirkliche Ergebnisse gibt, die Unterstützer_innen müssen die Kirche verlassen, und am nächsten Tag dürfen die Geflüchteten in der Votivkirche eine Pressekonferenz abhalten.
Bei dieser wurden dann die Ergebnisse der bis 3 Uhr früh gedauerten Verhandlungsrunde mitgeteilt. Die Geflüchteten dürfen sich weiter in der Kirche aufhalten, und Kirche und Caritas werden sich weiter um eine Lösung bemühen, hieß es.
In einer eigenen Pressekonferenz in geheizten Räumen am Stephansplatz rief kurz nach der Refugees-Pressekonferenz der Caritasdirektor der Erzdiözese Wien Michael Landau zu einem Runden Tisch mit Geflüchteten, NGOs und Regierungsvertreter_innen auf.
Unerwartet schnell kam dieser Runde Tisch dann auch tatsächlich zustande. Am Freitag, den 21. Dezember setzten sich Vertreter_innen von Geflüchteten, Katholischer Kirche, Caritas, Diakonie, Amnesty International, UNHCR, Innenministerium und Bundeskanzleramt zusammen. Kurz davor führte die Polizei mit Identitätsfeststellungen einen überraschenden Einsatz im Refugeecamp durch, den auch die Caritas als „wenig hilfreich“ kritisierte. Er „hätte beinahe zu einer weiteren Eskalation der Situation geführt“, so die Caritas. Der Einsatz wurde nach wenigen Minuten abgebrochen. Es gab keine Festnahmen.
Der Verlauf der Gespräche am Runden Tisch wurde von den Teilnehmenden positiv beurteilt.
Konkrete Ergebnisse waren aber nur schwer auszumachen, außer dass die Caritas den Geflüchteten im Refugeecamp und der Votivkirche Schlafplätze in ihren Einrichtungen angeboten hatte, und das Innenministerium versprochen hatte, die Wiederaufnahme in die Grundversorgung für jede_n einzelne_n Teilnehmer_in am Refugeecamp zu überprüfen. Es solle über die am Runden Tisch angesprochenen Themen auch weiter verhandelt werden, hieß es, konkrete Termine wurden dabei aber nicht vereinbart. Eine Fortsetzung der gemeinsamen Gespräche am Runden Tisch soll es nicht geben.Diskussionen unter den Flüchtlingen über weitere Verhandlungen gestalten sich aufgrund ihrer existentiell prekären Lage und der nach wie vor unbeheizten Votivkirche schwierig. In einer Aussendung baten sie um Bedenkzeit, und erklärten:
Dass das Innenministerium ihnen lediglich angeboten habe, die mögliche Wiederaufnahme in die Grundversorgung zu überprüfen, sei in Anbetracht dessen, dass von Vertreter_innen des Innenministeriums in den letzten Wochen mehrfach bestätigt wurde, dass die Ausübung des Rechts auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit keine Auswirkungen auf die Grundversorgung habe, sogar einen deutlichen Rückschritt dar.
Es habe keine „Problemlösung“ gegeben, so die Geflüchteten, sondern nur einen ersten willkommenen Ansatz, dem weitere Schritte zur dauerhaften Verbesserung der Lage der Geflüchteten folgen müssen. Sie wünschen sich in ihren Forderungen nach einem menschenwürdigen Leben ernst genommen zu werden.In der Nacht von 22. auf 23. Dezember traten mehrere Geflüchtete in einen Hungerstreik.
Am 24. Dezember findet im Sigmund Freud Park ab Mitternacht ein Weihnachtsfest unter dem Motto „Auch Jesus war ein Flüchtling“ statt. Alle Menschen sind herzlich eingeladen, sich dort ein Bild über die Situation der Geflüchteten zu machen.
Audio: http://cba.fro.at/67982