05.01.2013 | 19:28 | von Duygu Özkan (Die Presse)
Aktivisten: Die Unterstützer der Asylwerber
Sie stehen hinter den Hungerstreikenden in der Votivkirche, teilen ihre Forderungen und gelten bisweilen als Anstifter der Proteste: Was die Aktivisten wirklich denken.
Was ist eigentlich passiert? Kann es sein, dass eine überschaubare Anzahl an Asylwerbern, die zunächst mit einem Protestmarsch von Traiskirchen nach Wien, dann mit dem Protestcamp im Sigmund-Freud-Park vor der Wiener Votivkirche, mit ihrem Einzug in die Kirche und anschließend mit einem noch andauernden Hungerstreik das Asylsystem in Österreich tatsächlich verändern können? Am Anfang ihrer Proteste stand der Wunsch nach menschenwürdiger Unterbringung, mittlerweile sind die Forderungen – die Asylwerber nennen sie bisweilen Lösungsvorschläge – weitreichender. Kritik an der (oft überfüllten) Erstaufnahmestelle Traiskirchen oder am Asylsystem selbst gibt es aber nicht erst seit gestern.
Der Unterschied ist nur, dass es in diesem Fall die Asylwerber selbst sind, die den Protesten – mit einem radikalen Mittel, dem Hungerstreik – voranstehen. Und genau das, die Selbstorganisation, wird von vielen angezweifelt. Der Vorwurf der Instrumentalisierung stand im Raum, die Asylwerber würden, so die Lesart, von einer Handvoll Anarchochaoten benutzt und angestachelt. „Es gibt einzelne junge Leute, die in diesem Moment begeistert sind. Das wirkt aus einem konservativen Blickwinkel rebellisch“, sagt Petja Dimitrova, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der bildenden Künste und eine der Unterstützerinnen.
Rebellisch, also impulsiv, chaotisch vielleicht – ja, auch diese Aktivisten gebe es in der Votivkirche. Dass am Weihnachtsabend eine Aktivistin die Christmette störte, sei bei den anderen Unterstützern und vor allem den Asylwerbern nicht gut angekommen, meint der Zivildiener Louis Reumann: „Das war nicht abgesprochen.“ Man organisiere sich basisdemokratisch, und „Chaos ist halt die schlechte Form von Basisdemokratie“.
Dimitrova, Reumann und Lisbeth Kovačič sind drei jener Menschen, die fast täglich in die Votivkirche kommen, den Asylwerbern Tee kochen, dieses und jenes besorgen, Pressetexte schreiben, Deutschkurse geben, Zeitungsartikel übersetzen. Sie sehen sich als Sprachrohr der rund 40 Hungerstreikenden. Ihre Motive, sich an diesem Protest zu beteiligen, sind unterschiedlich. Kovačič ist Fotografin und Deutschlehrerin. Sie hat Asylwerber in niederösterreichischen Dörfern unterrichtet, erzählt sie. Einmal pro Woche, „also ein nicht ernst zu nehmender Kurs“. Der Unterricht müsse eben öfter stattfinden, und das sei in den Bundesländern, in den Dörfern, oft schwierig.
Und: „Sie haben dort keine Möglichkeit auf Bildung, auf soziales, kulturelles Leben. Oder auf psychologische Unterstützung.“ Kovačič verweist damit auf eine von den Asylwerbern gestellte Forderung, dass sie im Falle eines Transfers das Bundesland aussuchen können. Und was ist mit den anderen Forderungen? Das Löschen der Fingerabdrücke zum Beispiel, damit die Betroffenen im Falle eines negativen Bescheids in einem anderen EU-Land um Asyl ansuchen können, muss auf EU-Ebene verhandelt werden. Für die Unterstützer ist klar, dass eine Veränderung möglich ist, „wenn man das will“ – EU hin, EU her.
Daher stehen sie auch relativ geschlossen hinter dem Hungerstreik; Vertreter von Caritas und dem UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) hatten ja die Betroffenen aufgerufen, den Hungerstreik zu beenden und in die bereitgestellten Quartiere zu ziehen. Und genau hier scheiden sich die Geister. Die Caritas ist seit dem Einzug der Asylwerber in die Votivkirche ständig vor Ort, hilft und vermittelt. Zwischen ihr und den Unterstützern, die etwa Mitglieder von Initiativen wie „Familien und FreundInnen gegen Abschiebung“ sind, wird der Ton aber immer rauer. „Caritas und Diakonie machen schon wichtige Arbeit“, sagt Kovačič, „aber sie haben begrenzten Handlungsspielraum.“
In Wahrheit gehe es um die Politik, sagen die Unterstützer. Während sich die Caritas für das Wohl der Asylwerber einsetze und abseits der politischen Bühne agiere, wollten die Asylwerber selbst grundsätzliche Fehler im Asylsystem anprangern.
Hetzkampagne? Erpressung? Das geht nicht an der Politik vorbei, heißt es. Wenn die Hungerstreikenden das Angebot der bereitgestellten Quartiere annehmen würde, würde das auch bedeuten, dass sie von der Öffentlichkeit verschwinden und ihre Forderungen praktisch ungehört verhallen, meint Dimitrova. Schärfere Töne gegen die Caritas schlägt indessen die „Sozialistische Linkspartei“ (SLP) an, deren Vertreter ebenfalls in der Votivkirche aktiv sind; in einer Aussendung heißt es, die Caritas beteilige sich an einer „unglaublichen Hetzkampagne auf dem Rücken der Schwächsten“ und desavouiere den von den Asylwerbern selbst organisierten Protest.
Das Spektrum der Unterstützer ist jedenfalls breit. Neben der SLP haben auch NGOs wie SOS Mitmensch sowie Ordensgemeinschaften ihre Solidarität bekundet, Kardinal Christoph Schönborn war die Asylwerber in der Kirche besuchen. Die Unterstützer wollen nicht Repräsentanten von Parteien oder NGOs sein, sagt Reumann; sie würden sich als Privatpersonen solidarisieren. Was sie wohl auch weiter tun werden: Derzeit sieht es nicht danach aus, dass der Hungerstreik beendet wird. Das passiere erst dann, wenn sie die Sicherheit haben, in Österreich bleiben zu dürfen, so die Unterstützer.
Erpressung? Nein, das sei keine Erpressung, sagt Reumann. Man könne sich heute nicht mehr vorstellen, dass Menschen für Rechte kämpfen, und nicht für persönlichen Wohlstand. Die Belange der Geflüchteten könne man auch nur dann verstehen, wenn man entweder selbst geflüchtet ist oder sich ein persönliches Bild von ihrem Leben macht. Für Reumann ist sein Einsatz – bisweilen übernachtet er auch in der Kirche – „mein Zeichen der Solidarität“.
Trotz aller Unterstützung: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat zwar Vertreter der Asylwerber getroffen, aber auch Änderungen im Asylsystem abgelehnt. Genau das wollen die Hungerstreikenden. Die Caritas und andere NGOs, die einige Forderungen der Asylwerber teilen, wünschen sich das Ende des Hungerstreiks; der Wunsch prallt aber an einer Wand von Unterstützern ab. Die Hungerstreikenden selbst haben in einer Pressekonferenz bekräftigt, den Streik fortführen zu wollen. Alles in einem: Es ist eine Pattsituation. Gesundheitsgefährdende Folgen nicht ausgeschlossen.