Wir, verschiedene Gruppen kritischer Psycholog*innen, erklären uns mit dem Kampf des Wiener Refugee Camps solidarisch. Wir tun dies aus Sicht einer Berufsgruppe, die idealerweise dem psychischen Wohlergehen von Menschen verpflichtet ist. Als kritische Psycholog*innen betrachten wir Menschen nicht isoliert, sondern sehen sie im gesellschaftlichen Kontext und wir fragen danach, wie bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse Leid mitproduzieren.
Wir stellen unserem Statement voran, dass weitere der Refugee-Aktivisten akut von Abschiebung bedroht sind und dass täglich Menschen aus Österreich abgeschoben werden, was in gleichem Maße zu verurteilen ist, auch wenn diese Abschiebungen ungesehen, ohne Proteste und ohne Medienpräsenz geschehen. Menschen entscheiden sich zu fliehen und nehmen dabei große Risiken auf sich, weil die Lage dort, wo sie leben, für sie zu gefährlich oder aus anderen Gründen untragbar ist. Sie sind nicht aus Spaß und nicht zum Urlaub machen in Österreich – oder anderen europäischen Ländern.
Als Psycholog*innen wissen wir, dass Menschen, die aus ihren Herkunftsländern geflüchtet sind, weil sie dort Krieg, Folter, Verfolgung und ähnliches erlebt haben, nicht unversehrt in ihrem Gastland ankommen. Viele von ihnen sind stark traumatisiert, werden von Erinnerungen an das Geschehene gequält, leiden körperlich und psychisch und haben zudem oftmals begründete Angst um das Leben zurückgebliebener Familienmitglieder.
Wir wissen als Psycholog*innen aber auch, dass gerade die Erfahrungen im Gastland retraumatisierend wirken können. Vor, während und nach dem Asylverfahren werden Flüchtlinge in Österreich oft nicht als das behandelt, was sie zunächst, zuerst und zuvorderst sind: Menschen, die Schreckliches erlebt haben und nach Schutz, Hilfe und einem guten und sicheren Leben suchen.
Wir wissen als Psycholog*innen schließlich auch, dass der gesellschaftliche Umgang mit traumatischen Erfahrungen entscheidend ist: Er kann entweder lindernd wirken und dafür sorgen, dass eine Orientierung auf die Zukunft hin wieder möglich wird; oder aber dazu beitragen, dass sich das Leiden noch verschlimmert. Weil es so schwierig ist, sich das Ausmaß der psychischen Belastung eines Asylverfahrens vorzustellen, wenn man es weder selbst erlebt hat noch beruflich mit Menschen zu tun hat, die es durchleben, weisen wir nachdrücklich darauf hin, dass die Angst und die Unsicherheit über den Ausgang eines laufenden Asylverfahrens äußerst beklemmend sind.
Wir sind weit davon entfernt, die Aktivisten psychologisieren, pathologisieren oder zu Opfern machen zu wollen. Es geht hier um gesellschaftlich produziertes Leiden, das nicht nach Mitleid verlangt, sondern nach Respekt und der Bereitschaft, sich die dazugehörigen Geschichten anzuhören. Diese Bereitschaft fordern die Aktivisten auch deutlich ein, wenn sie kritisieren, sie hätten während ihres Asylverfahrens nicht einmal die Chance gehabt, ihre Geschichten darzulegen.
Hinter diesen Geschichten verbirgt sich zusätzlich die Tatsache, dass die sogenannten westlichen Staaten das gesellschaftliche Leiden in den Ursprungsländern von Geflüchteten und Migrant*innen wesentlichmitzuverantworten haben: Durch koloniale Ausbeutung und Zerstörung in der Vergangenheit und postkoloniale Abhängigkeiten und Einflussnahmen in der Gegenwart. Diese Verantwortung wird verleugnet und den Geflüchteten und Migrant*innen als falsche oder unzureichende Fluchtgründe individuell zurückgeschanzt.
Gesellschaftlich produziertes Leiden kann in einem psychologischen Setting eventuell gelindert werden, letztlich stehen aber die Gesellschaft und damit wir alle in der Verantwortung dafür. Die ständige Drohung, in Gebiete zurückgeschickt zu werden, in denen Menschen um ihre Freiheit, ihre Unversehrtheit, ihre Zukunft und ihr Leben fürchten müssen, hat verheerende Folgen für das körperliche und psychische Wohlergehen der Flüchtlinge. Gesellschaftlich Verantwortung zu übernehmen heißt, Rahmenbedingungen für alle Flüchtlinge einzurichten, die es ihnen ermöglichen, hier angstfrei, menschenwürdig und gesund zu leben.
Wir erinnern an dieser Stelle daran, dass die Definition von ‚Gesundheit‘ der World Health Organization (WHO) nicht nur die Abwesenheit von Krankheit bedeutet, sondern das Vorhandensein vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens.
Aus psychologischer Perspektive finden wir es zentral,
• dass Flüchtlingen in Österreich garantiert wird, dass sie nicht in Kriegs- und Krisengebiete abgeschoben werden,
• dass dem hegemonialen Verdachtsdiskurs von Seiten der Medien, Polizei, Behörden und oftmals auch Gutacher*innen und den damit einhergehenden Schikanen ein Riegel vorgeschoben wird,
• dass den Flüchtlingen zumutbare und wählbare Unterkünfte, Privaträume, Bewegungsfreiheit, Zugangsmöglichkeiten zu Arbeitsmarkt, Bildungsinstitutionen und Sozialversicherung
• und dass, wenn gewünscht, therapeutische Hilfe zur Verfügung gestellt wird.
Wir unterstützen daher die Forderungen der Refugee-Aktivisten und die Bemühungen anderer Gruppierungen, die sich auf unterschiedlichste Weise für die Anliegen von Geflüchteten einsetzen. Wir haben großen Respekt für den kollektiven Kampf, den Mut und das Durchhaltevermögen der Refugees und ihrer Unterstützer*innen.
Als Psycholog*innen möchten wir schließlich an etwas erinnern, das in vielen Debatten immer wieder untergeht, nämlich dass es hinter den juristischen Auslegungen und politischen Interessen und Auseinandersetzungen um das Schicksal konkreter Menschen geht.
Wien, im September 2013
Plage – Psycholohnarbeitsgruppe, Wien
ikp – Verein Initiative kritische Psychologie, Wien
GkPP – Gesellschaft kritischer Psychologen und Psychologinnen, Österreich
Krips – Basisgruppe der kritischen Psychologiestudent*innen, Wien
Lesekreis kritische Psychologien, Wien
TdU im psybversiv (Theater der Unterdrückten), Wien
ak disku, Wien
AG kritische Sozialpsychologie, Wien
AG Politische Psychologie, Hannover und überregional
Birgit Stabler (Psychologiestudentin), Wien
http://www.kripsy.net/tiki/tiki-index.php?page=refugee_statement