[English version can be found below]
Die Forderung nach einem normalen Leben und der Unterschied zwischen helfen und unterstützen
Interview mit A. K., die Fragen hat Niki Kubaczek gestellt.
A. K. ist seit der Besetzung des Votivparks im November 2012 Teil des Refugee Camps Vienna. Er ist einer von jenen, die am 23. Dezember 2012 in der Wiener Votivkirche aus Protest in den Hungerstreik traten. In den letzten Wochen wurde er wiederholt eingeladen, um in unterschiedlichen Kontexten über die Forderungen der Refugees zu sprechen. Das Interview wurde auf Englisch geführt und für die Zwecke dieser Publikation bearbeitet.
Niki Kubaczek: Auf der SOS Mitmensch Matinee zu Beginn dieses Jahres habt Ihr den soeben erhaltenen, mit 3000 € dotierten Ute-Bock-Preis an die Caritas gespendet, um zu zeigen, dass es nicht um Geld, sondern um gleiche Rechte geht. Du hast gesagt, wenn Du die gleichen Rechte hättest wie Menschen mit einem österreichischen Pass dann wäre es kein Problem, genug Geld zu verdienen…
A. K.: Weißt Du, manche Menschen machen Propaganda, dass diese Menschen [die Refugees] keine Lösung wollen, sondern nur Geld sammeln. Wir sind also auch kritisch gegenüber Spenden geworden. Im gleichen Moment brauchen wir aber auch Geld, um Anwält_innen und Essen zu bezahlen. Der Punkt ist also, den anderen Leuten zu erklären, dass es nicht um Geld geht, sondern um eine Lösung. Wir fordern keine Spenden, oder Räume, die dann uns gehören – in diesem Moment sprechen wir über Menschenrechte!
Seit Wochen sind die Tore der Votivkirche, außer während den Messen, geschlossen. Höchstens fünf Unterstützer_innen, Besucher_innen können gleichzeitig hinein…
Mit den normalen Leuten in Kontakt zu sein ist sehr wichtig, auch mit den Unterstützer_innen reden zu können, ihnen zu erklären, einen Plan zu machen – aber sie wollen den Kontakt zu den Unterstützer_innen abschneiden. Wenn Presse, die auf der Seite der Regierung steht, hinein will, dann können sie hinein, aber wenn alternative, unabhängige Medien kommen wollen, dann stoppen sie die. Letztes mal war eine Person aus Deutschland hier, die einen Artikel schreiben wollte, die hat zwei Stunden vor dem Tor warten müssen.
Wo braucht es Hilfe, wo Unterstützung und worin siehst Du Unterschiede dazwischen?
Wir freuen uns auch über Spenden, wenn Leute uns helfen wollen, aber wir haben es nicht auf Räume und Dinge abgesehen, sondern wir wollen eine Lösung! Wir müssen zum Laufen anfangen, die Leute unter Druck setzen, Leute kontaktieren. Das ist die Verantwortung der Unterstützer_innen, die verstehen das System hier, die Gesetze, die Positionen… Aber das ist kein demokratisches Land – in einem demokratischen Land werden Menschen gehört, wenn sie über ein Problem sprechen, aber hier: kein Zuhören, keine Antworten.
Wie ich der Caritas über das Stoppen von Abschiebungen erzählt habe, haben sie gesagt „Oh K., sprich nicht über das…“ Wie können wir eine Lösung finden, wenn niemand Verantwortung übernimmt, wenn wir die verantwortlichen Personen nicht adressieren können? Wir wollen eine Lösung! Ich meine, wir sind sehr klar, wir sprechen nicht über eigene Räume, sondern über den legalen Status, über den Kampf. Es ist Zeit, Verantwortung aufzuteilen. Du machst Deinen Job, draußen, ich mach meinen Job, drinnen. Du treibst einen Tisch auf, ich spreche mit dem Kanzler. Wir sind in der EU, wo sie sagen, dass eine friedliche Welt gemacht wird – wir unterstützen das! Weil wir auch Teil dieser Welt sind, und unsere Rolle ist mehr als wichtig.
Aber meine Probleme sind nicht nur hier zu verorten: 20% sind hier in Österreich, aber 80% – jeden Tag schau ich, wies meiner Familie (in Swat Valley, Pakistan) geht – wie können wir, wie kann ich meine Familie beschützen? Wir sind mehr als in Gefahr, acht Jahre ist es jetzt her, seit dem ich weg bin. Normalerweise sprechen wir [Menschen, die dort Leben] nicht offen in der Presse, diese dummen Leute sind sehr stark [religiöse Gruppen und Sicherheitsfirmen], vielleicht bringen sie wieder wen aus meiner Familie um, weil ich sehr klar meine Meinung gesagt habe. Ich will jetzt Schutz.
Du hast oft über die Forderung nach einem normalen Leben gesprochen. Steht das für Dich im Zusammenhang mit einer Forderung nach Gleichberechtigung?
Gleichberechtigung ist was man in Büchern und Artikeln ließt. Aber eine Person von hier soll einmal in meine Region gehen, ich gebe ihr 500 €, Essen, Unterkunft und dann soll sie dort leben. Das ist kein normales Leben, das ist ein Gefängnis. Aber wir sind auch Menschen. Wir wollen ein normales Leben, offen das Leben genießen. Ein anderer Refugee vom Camp hat gemeint, dass Leute die hier in Österreich aufgewachsen sind, zuerst einmal den Weg gehen sollen, den er gegangen ist, bevor sie ihm die Welt erklären… Schau, in meiner Region haben wir auch viele Flüchtlinge, und wir haben ihnen eine Plattform verschafft. Mein Vater und meine Familie haben diese Leute mit Geld, Unterkünften, Jobs unterstützt. Und wir haben nicht die gleiche wirtschaftliche Situation wie in Europa… Aber wir haben jene versorgt und juristisch unterstützt, die es gebraucht haben. 1,5 Millionen Afghanis und Paschtunen haben wir [der Staat Pakistan] einen Pass gegeben, damit sie durch die Welt reisen können.
Im Zusammenhang mit dem Protestcamp ist ja oft die Rede von „den Refugees“ und „den Supporter_innen“ – würdest du dich dann auch als Supporter verstehen?
Auf jeden Fall! Ich möchte den Jüngeren Möglichkeiten geben, lesen zu lernen, auf die Universität zu gehen, um dieses Scheiss-System zu bekämpfen, um Erfahrungen zu machen, um ein normales Leben zu führen. Wenn Du deinen Mund aufmachst, bekommst Du einen gestempelten Brief von den Sicherheitsfirmen und den religiösen Gruppen, dann bist du auf der schwarzen Liste. Ich bin da auch drauf.
Auf der Schwarzen Liste?
Ja, und auch mein Cousin. „Warum sprichst du über Bildung und die Frauen? Warum sprichst du offen darüber?“ wurde ich immer wieder gefragt, warum ich kein guter Muslim sei. Letztes Jahr haben sie einen anderen Cousin erschossen, meinen Sohn wollten sie auch töten, aber er ist nach Islamabad entkommen. Die haben keine Ahnung, diese Politiker_innen… Aber wir lieben das Leben. Es ist nur einmal, genieße es! Die religiösen Gruppen wollen uns hindern darüber zu sprechen, dass die Welt uns gehört. Aber diese Welt ist für uns da!
In gedruckter Form erschien der Text Ende Februar 2013 in der Zeitschrift MALMOE sowie online auf http://eipcp.net/transversal/0313
The demand for a normal life and on the difference between helping and supporting
Interview with A. K. conducted by Niki Kubaczek
A. K. has been part of the refugee protest camp since the occupation of the Votivpark in November 2012. He was one of those who articulated their protest by going on hunger strike in the Votiv church on December, 23rd, 2012. During the last weeks he has been invited on several occasions to speak about the demands of the refugees. The interview was conducted in English and has been adapted for this publication.
Niki Kubaczek: At the SOS Mitmensch Matinee at the beginning of this year, you donated the Ute-Bock-Award of 3000 € to the Caritas in order to show that you are not fighting for money but for equal rights. You said that it would not be a problem for you to earn enough money if you had the same rights as people with an Austrian passport.
A. K.: You know, some people want to make propaganda and claim that those people (the refugees) do not want a solution, but only want to collect money. This is why we became critical with regard to donations. But, at the same time, we need money for the lawyers, or for food. So, we need to explain to people that money is not the main issue, that we want a solution. We do not demand donations or facilities as the religious people seem to think who say: We provide you with warm places, your own places. We, however are talking about human rights!
For weeks, the doors of the Votiv church have been closed except during mass. Not more than five supporters or visitors have been allowed to enter at the same time…
It is important to be in contact with normal people. It is equally important for us to be able to talk with the supporters, to explain our positions, to make plans but the archdiocese and the Caritas want to cut off our contacts to the supporters, to media and to society. When media want to come inside who are on the side of the government, they are allowed to enter. But when independent media want to come, they are hindered to do so. Recently, a person from Germany came who wanted to write an article, he had to wait for two hours at the gate.
Do you think there is a difference between helping and supporting?
Yes! We are glad when people donate and want to help the refugees but we do not claim for facilities, we want a solution! We need to move, to put pressure on people, to contact people. This is partly also the responsibility of the supporters as they understand the system here, the law, the positions…. But this is not a democratic country, in a democratic country, if people talk about a problem, they are heard but here, no one listens and no one answers.
When I talked to the Caritas about our claim to stop deportations, they only said: “Oh K., do not talk about that!” How is it possible to find a solution if nobody takes responsibility? How can we get a solution if we cannot address the responsible people? When we cannot tell them: “We want a solution!” Our position is very clear: We do not talk about facilities, about own places, but about legal status and about our struggle. This is the time to share responsibilities. You do your job, outside, on your side, and I do my job, inside. You provide a table, I talk to the prime minister, to the chancellor. This is the European Union. They say they work for a peaceful world, we support this! Because we are also part of this world, and our role is very important.
You have often talked about the demand for a normal life. Is this for you the same as the demand for equality?
No, about equality you read in books and articles. But a person from Austria should go to my region. I give this person 500 €, food and accommodation, and then, this person should live there. You cannot live a normal life there, it is a prison. I want a normal life and I want to enjoy life openly.
Another Refugee from the camp once said, that a person who grew up in Austria should first go the way he has come, before starting to explain the world to him…
Listen, in my region, we also have a lot or refugees, and we provided them with a platform. My father and my family helped them with regard to money, housing, jobs, etc…. And we do not have he same economic situation as in Europe. But we helped those who needed a hand, for example with regard to legal affairs.1,5 mio Afghani and Pushdun people received a passport from Pakistan so that they can travel in the world. Can you believe this?
When people talk about the Refugee Camp, they frequently talk about “refugees” and “supporters”. So, would you define yourself as a supporter as well?
Absolutely! I want to give younger people the possibility to learn to read, to go to university in order to fight this stupid system, to make experiences, to have a normal life. My problems are not only here: 20% of my problems are in Austria, but 80% are related to Pakistan. Every day, I check how my family in the Swat Valley is. I constantly wonder how we, how I can protect my family because they are in great danger. It has been eight years now since I left Pakistan. Usually, people there do not talk openly in the media as religious groups and security agencies have a lot of influence. I am afraid that they will again kill somebody from my family as I give my opinion very clearly. I want protection now! When you open your mouth, they shoot you or you first receive a letter from the security agencies and the religious groups – and, then you are on the black list. I am also on the black list.
On the Black List?
Yes, and my cousin as well. The Muslims asked me: “Why do you talk about education for women? Why do you talk openly about this? Why are you not a good Muslim?” Last year, they shot another cousin, they also wanted to kill my son but he ran away to Islamabad. They have no idea, these politicians… But we love life. Because it is one time only. Enjoy it! Religious groups do not want us to say that the world belongs to us. But this world is for us!
The interview has been published at the end of February 2013 in the magazine
MALMOE as well as in the online journal eipcp.
http://eipcp.net/transversal/0313
Die Forderung nach einem normalen Leben und der Unterschied zwischen helfen und unterstützen