Kommentar: Die Votivkirche als Schule der Demokratie

Die Votivkirche als Schule der Demokratie

Kommentar von Univ.-Prof. Dr. Werner Wintersteiner
Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik sowie Österreichisches Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

Das vielleicht wichtigste Ereignis des letzten Sonntags war wohl nicht die Volksabstimmung über Wehrpflicht versus Berufsheer, sondern eine kleine, weitgehend unbeachtet gebliebene Demonstration der Flüchtlinge von der Votivkirche. Die dort schon seit Wochen der Kälte trotzenden Aktivisten haben eine wohl einmalige Geste gesetzt: Als sie den Ute-Bock-Spezialpreis und noch einen weiteren Preis erhielten, bedankten sie sich, gaben aber das Preisgeld an die Caritas weiter, damit sie es für Bedürftige verwendet. Damit haben die Flüchtlinge nochmals deutlich gemacht, dass es ihnen nicht um Almosen geht und auch nicht nur um die Verbesserung der eigenen Situation. Vielmehr verfolgen sie das politische Ziel einer menschenwürdigen und fairen Behandlung von Flüchtlingen und Asylwerbern in Österreich. Die Flüchtlinge in der Votivkirche, von denen ein Teil seit einiger Zeit im Hungerstreik ist, kämpfen vor allem für ihre Würde und für politische Rechte. Sie haben dazu eine Reihe von Forderungen gestellt: Es geht ihnen unter anderem um eine Grundversorgung für alle Asylwerber; um die freie Wahl des Aufenthaltsorts und Zugang zum öffentlichen Wohnbau; ferner um den Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildungsinstitutionen und Sozialversicherung und nicht zuletzt um die Anerkennung von wirtschaftlichen Fluchtmotiven als Fluchtgrund.

Das sind keine maßlosen Forderungen. Das sind faire Bedingungen, für die österreichische Menschenrechtsorganisationen ebenfalls schon längst eintreten, die aber die Bundesregierung kategorisch ablehnt. Warum eigentlich? Sind Flüchtlinge nicht Menschen, denen eine würdige Behandlung genauso zusteht wie allen anderen? Warum wird dann dieser Flüchtlingsprotest von den einen totgeschwiegen und von den anderen diffamiert? Vielleicht, weil es nicht zu unserem Bild vom Flüchtling als dem armen Bittsteller passt, an dem wir wieder einmal unsere Generosität beweisen können.

Denn das Besondere, beinahe Einmalige an diesen Protesten ist es, dass hier die Betroffenen, die Rechtlosen, die Asylsuchenden ihre Sache selbst in die Hand nehmen. Die, die normalerweise nicht zu Wort kommen (sollen), sprechen öffentlich und teilen ihre Meinung mit. Sie benehmen sich wie Staatsbürger. Das ist es, was offenbar die Kritiker stört.

Doch auf diese Weise wird die Votivkirche zu einer Schule der Demokratie : Die, deren Rechte niemand wahrnehmen will, nehmen selbst ihre Rechte wahr. Diejenigen, denen kein Recht zu reden zugestanden wird, machen den Mund auf. Sie zeigen damit die Lücken von Österreichs Demokratie auf und arbeiten auf ihre Schließung hin. Wir sollten uns bei den Hungerstreikenden bedanken – im Interesse der Demokratie!